Leseproben


Franzosenkind

Auszug aus dem Buch "Franzosenkind - Meine Suche nach dem unbekannten Vater" Tyrolia-Verlag- Innsbruck-Wien.

Lebensgeschichte von Eduard Spörk aufgezeichnet von Britta Lauber


Der Zettel

Matt lehnte sich die Wärme des Sommers an einen wolkenlosen Himmel. Die trockene Luft knisterte. 

„Immer noch besser als in der Ziegelfabrik“, dachte Eduard müde. Seit einer Woche arbeitete er in der Hitze des Brennofens, die seine Haut glühen ließ und ihm den Atem nahm. Doch er brauchte das Geld, sparte für ein Moped und nutzte die Ferientage. Seine Mutter nickte ihm zu und reichte ihm wortlos ein Glas Wasser. Mit seinen vierzehn Jahren begegneten sie sich von der Größe auf Augenhöhe, der schmale, blonde Junge und die brünette Frau, deren Figur die Geburten von drei Söhnen gerundet hatten. 

Der Tag neigte sich dem Abend entgegen. Hans, Eduards achtjähriger Bruder, spielte mit Freunden irgendwo draußen am Bach, und der Mann der Mutter schien unterwegs zu sein. 

„Wie war es heute?“, fragte Eduard, obwohl er die Antwort bereits kannte. 

„Wie immer“, die Mutter überraschte ihn nicht. Sie sprach nie viel, auch nicht über ihre Arbeit in der Tabakfabrik, wo sie seit einigen Jahren Zigarren aus feinen Tabakblättern rollte. Anfänglich nur mit den Händen, die von Maschinen abgelöst wurden, schneller und präziser. Nur die teuersten und edelsten Zigarren durften nun noch zwischen Mutters langen, schmalen Fingern schonend geformt werden. 

„Wasch dir die Hände, es gibt gleich Essen“, wies sie ihn an. Als Eduard zurück in die Küche kam, standen nur zwei Teller auf dem Tisch. Er fragte nicht nach dem Grund. Die Stühle wurden gerückt, sie setzten sich. Beim Anblick der dampfenden Kartoffeln spürte Eduard keinen Hunger, sondern seine Nervosität. Zu selten hatte er die Mutter für sich allein.  

„Ich bin wieder nach meinem Vater gefragt worden“, platzte es aus ihm heraus. „Bitte, Mutter, erzähle mir von ihm! Irgendetwas! Seinen Namen. Wie er war. Ich muss es wissen!“ Unter der Flut der Worte erstarrte sie. Die Gabel klirrte gegen den Tellerrand. 

„Lass’ es, Edi!“, flüsterte sie kraftlos. 

„Immer sagst du, lass’ mich in Ruh’! Nein, Mutter, ich muss es wissen! Ich muss!“

Es schien der Zeitpunkt gekommen zu sein, an dem sie ihn nicht mehr mit einem Blick zum Schweigen bringen konnte. Seine jugendliche Energie sprengte gegen die verkrustete Hülle, die ihre wunde Seele umschloss.

Sie stand auf und suchte für einen Moment den Halt in ihren Handflächen auf der Tischplatte. Eduard wagte nicht, ihr in das blasse Gesicht zu sehen. Er spürte ihren Schmerz wie seinen eigenen. Erst als sich die Mutter wegdrehte, hob er enttäuscht den Kopf. Seine Fragen sollten wieder ohne Antwort bleiben. 

Eduard hörte den schweren Atem der Mutter und Schritte, die die Last ihrer inneren Qual trugen. Eine Schublade im hölzernen Küchenschrank wurde geöffnet und dumpf zugeschoben. Für einen Moment bewegte sich niemand von beiden, und Eduard fragte sich, was sie gesucht hatte. Dann bemerkte er, dass sich die Mutter schwerfällig wieder auf den Stuhl neben ihn setzte, einen Bleistift und ein Stück Papier in der rechten Hand haltend. Eduards Herz schlug so heftig, dass er es in seinem ganzen Körper spüren konnte.

Während sie mit gebeugtem Kopf und zusammengepressten Lippen schrieb, verharrte Eduard regungslos und wagte kaum zu atmen. Nichts sollte die Mutter unterbrechen. 

Stumm schob sie ihm den Zettel zu. Zwei Wörter. Ein Datum. 

Ansonsten Leere, die sich für Eduard langsam mit Vergangenheit zu füllen begann. Und Zeichen, die eine Zukunft versprachen: 

Antoine Ménan

26. 11. 1917


 


Jahres Blüte

Gedicht von Britta Lauber - Dezember 2016


Zarte Blätter entfalten sich zaghaft

Drängen bunt leuchtend dem Licht entgegen

Um süßlich duftend die Wärme der Sonne

Die Energie der Erde aufzusaugen

Für ein Lächeln

 

Im Kelch die blitzenden Regentropfen zu kosten

Wogend im  stürmischen Wind

Sich nicht  brechen zu lassen

Um im Schatten Schutz zu spenden

Für ein Zögern

 

In der schlichten Schönheit der Tage

Rollen müde in der Abendröte

Sich die welken Blätter ermattet zusammen

Um Kraft zu schöpfen zum Knospen

Für ein Hoffen

 

Für Dich

Für die, die Du liebst.